Behavioural Science und Behaviour Pattern

Wir alle kennen es: Die günstigeren Produkte im Supermarkt stehen meistens unten oder ganz weit oben im Regal, sodass diese nicht ohne Anstrengung zu erreichen sind. Die teureren Produkte sind dagegen meist auf Augen- bzw. Greifhöhe platziert, sodass diese mehr Aufmerksamkeit bekommen und zu höheren Umsätzen führen.

Dies ist bei weitem nicht die einzige strategische Entscheidung der Supermarktbetreiber, die immer das Ziel haben, die Kauflust des Kunden zu fördern. Ist Ihnen auch schon einmal bewusst geworden, dass die meisten Supermärkte linksherum aufgebaut sind, sprich der Eingang rechts liegt? Zurückzuführen ist dies auf zahlreiche Kundentests, die gezeigt haben, dass diese Ausrichtung als angenehmer empfunden wurde. Zum Wohlfühlfaktor trägt ebenfalls die Raumtemperatur bei, die weder zu kalt noch zu warm ist, sodass man aufgrund dieser nicht vorzeitig das Geschäft verlassen möchte. Auch die Produktanordnung ist keinem Zufall überlassen: Kaffee und Tee befinden sich in unmittelbarer Nähe zu Honig und Marmelade. Alles Produkte, die vorrangig morgens verzehrt werden und den Käufer gedanklich seinen Frühstückstisch durchgehen lassen. So landet schnell ein Glas Nutella im Wagen, das nicht auf dem Zettel stand. Die Molkereiprodukte, die (zumindest früher) zu fast jedem Einkauf dazugehören, sind meistens sehr weit vom Eingang entfernt platziert. Der Besucher wird auf dem Weg dorthin an zahlreichen weiteren Leckereien vorbeigeführt, die in dem noch recht leer wirkenden Einkaufswagen schnell Platz finden. Das Bewusste Weglassen von Einkaufskörben kann als weiterer Punkt in der Verhaltenssteuerung gesehen werden: Durch den Einkaufswagen tendieren die Käufer eher dazu mehr Produkte hineinzulegen, da die Menge im Verhältnis zum großen Wagen nach sehr wenig aussieht.

Welchen Ursprung hat die Verhaltenssteuerung?

Das Supermarkt-Beispiel zeigt was passieren kann, wenn unser Entscheidungsverhalten durch kognitive Verzerrungen (z.B. Wahrnehmung der Einkaufswagengröße) beeinflusst wird. Der Mensch tendiert zu bestimmten Verhaltensmustern, sogenannten Behaviour Pattern.

Behaviour Pattern gehen auf die Verhaltensforschung zurück, die sich vorrangig damit beschäftigt, dass menschliche Verhalten, insbesondere das Entscheidungsverhalten, zu untersuchen. Zentrale Fragestellungen dabei lauten beispielsweise:

  • Wie fällt der Mensch Entscheidungen?
  • Welche Prozesse werden in unserem Gehirn ausgelöst?
  • Gibt es Möglichkeiten, diese zu beeinflussen?

Dabei spielen verschiedene Fachrichtungen wie u.a. Psychologie, Soziologie und Neurowissenschaften eine Rolle.
Eine der bekanntesten Publikationen in diesem Feld ist das Buch „Schnelles Denken, langsames Denken“ von Daniel Kahnemann, Professor für Psychologie an der Princeton University. Er gilt als einer der weltweit einflussreichsten Kognitionspsychologen und wurde 2002 mit dem Wirtschaftsnobelpreis ausgezeichnet.

Kahnemann unterteilt das menschliche Denken in zwei Systeme: System 1 und System 2

System 1 ist für das schnelle, emotionale Denken verantwortlich, System 2 hingegen für das langsame, überlegte Denken. Letzteres nutzen wir eher selten, da es mehr Anstrengung erfordert.

System 1 und 2 nach Kahnemann

System 1 dagegen ist ständig aktiv, funktioniert vollkommen automatisch und benötigt dabei weniger Energie. Es wirkt wie eine Art Autopilot, indem es auf Erfahrungen sowie daraus gebildete Denkmuster zurückgreift. Die meisten Entscheidungen werden durch das System 1 getroffen. Gleichzeitig ist dies aber auch das System, das sich schnell beeinflussen lässt.

Wie können wir diese Erkenntnisse (im Web) nutzen?

Mittlerweile gibt es über 100 verschiedene Behaviour Patterns, mit denen wir die Nutzer-Entscheidungen prägen bzw. leiten können. Diese unterscheiden sich in ihrer Wirkungsart und -stärke.

Nachfolgend stellen wir drei bekannte Behaviour Patterns vor.

  1. Scarcity (Verknappung)
    Anzeigen wie „Nur noch kurze Zeit erhältlich!“ oder auch „Nur noch 5x verfügbar“ erhöhen den Druck beim Nutzer, sich zu entscheiden. ABOUT YOU blendet beispielsweise einen Hinweis ein, dass der Artikel nur noch begrenzt verfügbar ist. Außerdem erscheint im Warenkorb die Information, dass Artikel nicht reserviert werden. Dies erzeugt einen gewissen Druck beim Käufer, zügig den Kaufprozess abzuschließen, bevor jemand anderes schneller ist.
Produktdetailseite von ABOUT YOU
Warenkorb von ABOUT YOU

Besonders bekannt für Scarcity ist booking.com. Das Unternehmen setzt dieses Behaviour Pattern gleich mehrmals ein. Die rote Anzeige „Begrenztes Angebot in München an Ihren Reisedaten: 2 3-Sterne-Hotels wie diese sind auf unserer Seite nicht mehr verfügbar“ erweckt den Anschein, dass ein Zögern dazu führt, kein Hotel mehr in dieser Preisklasse zu bekommen. Ob dieses Behaviour Pattern bei booking.com noch so gut funktioniert wie vor ein paar Jahren, ist jedoch fraglich. Die Nutzer haben gelernt, dass diese Hinweise oft nicht der Wahrheit entsprechen.

booking.com
  1. Paradox of Choice
    Dieses Behaviour Pattern geht auf ein Marmeladen-Experiment aus dem Jahr 2000 zurück. In zwei Testrunden wurden Passanten verschiedene Marmeladen und Konfitüren auf einem Verkaufstisch zum Probieren angeboten. Die Vermutung war, dass eine erhöhte Auswahl mehr Geschmäcker anspricht und somit den Verkauf erhöht. In der ersten Runde hatten die Passanten die Wahl zwischen 24 Marmeladen, in der zweiten Runde waren es nur noch sechs. Während die erhöhte Auswahl zwar mehr Besucher zum Probierstand zog, steigerte sie jedoch nicht den Absatz. Lediglich ein niedriger einstelliger Prozentsatz entschied sich zum Kauf. Anders verhielt es sich bei der geringeren Auswahl, bei der sich zwar weniger Passanten angesprochen fühlten, allerdings der Verkauf auf über 10% stieg. Eine große Auswahl kann also auch dazu führen, dass sich die Nutzer schlechter entscheiden können und dann dazu tendieren, keine Handlung durchzuführen.
  1. Decoy Effect (Täusch-Effekt)
    Wie das Behaviour Pattern Paradox of Choice bereits gezeigt hat, fällt es Menschen schwer, sich zu entscheiden. Dies gilt nicht nur, wenn zu viele Alternativen zur Verfügung stehen, sondern auch, wenn sie sich zwischen zwei Varianten entscheiden müssen. In den meisten Fällen neigt der Mensch dazu entweder gar keine Entscheidung zu treffen oder die günstigere Option zu wählen.
    In der ersten Abbildung mit den Weinflaschen würden die meisten Menschen den Wein für 8,00€ als teuer empfinden und beim Wein für 3,00€ zweifeln, ob dieser qualitativ hochwertig ist.

Wird dem Kunden nun eine dritte Alternative, ein sogenannter Köder (eng.: decoy), angeboten, verschiebt sich die Wahrnehmung. In diesem Fall ist der unattraktive Köder so viel teuer, dass der Wein für 8,00€ nun erschwinglich erscheint.

Es fällt den meisten Besuchern demnach deutlich leichter sich für eine Option zu entscheiden, wenn eine Variante beim Preis oder in der Leistung sehr stark abweichend ist.

Welche Patterns eignen sich am besten?

Welches Behaviour Pattern auf welcher Website funktioniert, muss für jede einzeln betrachtet und getestet werden. So funktioniert das Behaviour Pattern „Social Proof“ durch den Einsatz von zahlreichen Kundenbewertungen und die Nennung der Gesamtsumme an zufriedenen Käufern wie bei Snocks gesehen wahrscheinlich sehr gut.

Snocks

Bei Luxusartikeln, die darauf ausgelegt sind nur einen kleinen, ausgewählten Kundenkreis zu bedienen, wird diese Form von Social Proof nicht den gewünschten Kaufreiz auslösen.

Fazit

Es ist immer ratsam, sich über die verschiedenen Wirkungsweisen zu informieren und gleichzeitig die Zielgruppe zu beachten. Auf gut Glück verschiedene Pattern einzubauen, wird in den wenigsten Fällen zum Erfolg führen. Richtig eingesetzt können sie aber zu einem deutlichen Uplift der Conversion-Rate führen.

Merle Howindt

UX-Konzepterin am Standort Bremen

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Merle Howindt
Tags: neugierig

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