Tourismus

Wie misst man eigentlich, wie inspirierend eine Destinationswebsite ist, Frau Köchling?

Interview mit Anne Köchling, Projektleiterin Institut für Management und Tourismus, FH Westküste

Wir haben nachgefragt bei Anne Köchling. Sie ist seit rund 10 Jahren – nach Stationen im Destinationsmanagement bei der Deutschen Zentrale für Tourismus e.V. (DZT) und der Tourismus-Agentur Schleswig-Holstein GmbH (TASH) – Referentin für Forschungsvorhaben am Institut für Management und Tourismus (IMT) der FH Westküste. Dort forscht sie im deutschsprachigen wie internationalen Raum, lehrt und führt touristische Marktforschungs-Studien durch und arbeitet an branchenbekannten Projekten wie z.B. der Destination Brand Studienreihe oder der RA Business mit.

Nun promoviert sie bei Professor Dr.   Martin Lohmann an der wirtschaftswissenschaftlichen Fakultät der Leuphana Universität Lüneburg.

[Fotocredits: Frederik Röh]

Liebe Anne, du blickst auf zahlreiche Berufsjahre im Tourismus und hast dabei einige Projekte begleitet, in denen es um das Markenimage von Reisezielen und deren Messung ging. Nun beschäftigst du dich in deiner Doktorarbeit damit, wie eine Destination vor der Reise online wahrgenommen und erlebt wird, was dafür ausschlaggebend ist und wie das die Reisebereitschaft des Nutzers beeinflusst. Wie kam es dazu?

Da ich schon einige Jahre in der Tourismusforschung arbeite, hatte ich schon länger die Idee einer Promotion. Und mit der Verschiebung der Ausrichtung des IMT von primär Drittmittelprojekten, hin zu mehr auftragsunabhängigen Forschungsprojekten wurden die Weichen dann auch gestellt, eine Promotion mit der Institutsarbeit zu verbinden. Das Thema meiner Arbeit – die Analyse des Online-Erlebnisses von Reisezielen auf Destinationswebsites – hat sich aus der Beschäftigung mit Destinationsmarken ergeben. Im Markenkontext gibt es die Strategie des Erlebnismarketings. Auch im Destinationsmarketing wird der Erlebnisbegriff sehr oft verwendet – nicht zuletzt ganz aktuell während der Reisebeschränkungen unter Covid-19 als zahlreiche Reiseziele mit „virtuellen Erlebnissen“ geworben haben. Aus wissenschaftlicher Sicht gibt es bei der Übertragung der Erlebnismarketing Strategie auf Destinationsmarketing-Strategien bzw. der Wirkung dieser Strategien auf die Wahrnehmung beim Nachfrager aber noch Forschungsbedarf. Die bisherigen Ansätze bleiben sehr nah an den Markenansätzen aus der Konsumgüterindustrie. Destinationen sind aber, wie wir alle wissen, sehr spezielle „Produkte“, so dass es sich lohnt, hier nochmal sehr genau nachzuforschen.

Welchen Fragen widmest du dich denn genau in deiner Doktorarbeit?

Zunächst mal will ich herausfinden, wie Nutzer von Destinationswebsites Reiseziele vor einer Reise erleben. Mich interessiert, welche Gedanken und Gefühle beim User während des Surfens in Bezug auf das Reiseerlebnis entstehen (können). Es geht mir dabei darum, übergeordnete Erlebniskategorien zu finden und mögliche Ausprägungen zu beschreiben. Idealerweise soll ein Messinstrument entstehen, um den Erlebniswert einer Destinationswebsite zu bestimmen. Darüber hinaus erforsche ich, welche Aspekte der Websitegestaltung das Online-Destinationserlebnis positiv oder negativ beeinflussen und inwiefern dieses Erlebnis auf das Image der Reiseziele und die Besuchsbereitschaft wirkt.

Dein Vorhaben klingt spannend und gleichzeitig nicht ganz leicht, Aspekte rund um das Thema „Wahrnehmung“ und „Erlebnis“ messbar zu machen. Schließlich ist das durchaus subjektiv. Wie lässt sich das umsetzen?

Das ist völlig richtig – Erlebnisse sind immer subjektiv und hängen sehr eng mit vorherigen Erfahrungen, Vorkenntnissen, Charaktereigenschaften des Betrachters etc. zusammen. Trotzdem kann man die Erlebnisse bestimmten Kategorien zuordnen und eine Struktur erkennen, auch wenn die Ausprägung individuell verschieden ist. Ich nutze für meine Untersuchungen vor diesem Hintergrund sehr viele unterschiedliche Methoden. Dazu gehören unter anderem retrospektive Protokolle lauten Denkens und qualitative Interviews, aber auch psychophysiologische Methoden wie die Messung von Emotionen mittels Facial Expressions oder auch Eye-Tracking. Der Vorteil der psychophysiologischen Methoden ist, dass sie ein unverzerrtes Bild des Erlebnisses liefern. Durch die Kombination mit Befragungen will ich ein möglichst umfassendes Bild des Online-Destinationserlebnisses bekommen.

Erste Erkenntnisse hast du bereits in einer qualitativen Studie gesammelt. Dabei hast du untersucht, welche Dimensionen ein Online-Destinationserlebnis auf offiziellen Websites von Reisezielen vor der Reise, also in der Inspirationsphase, haben kann und welche Aspekte der Websitegestaltung so ein Erlebnis positiv oder negativ beeinflussen können. Welche Erkenntnisse hast du sammeln können?

Genau, das habe ich in meiner ersten Studie zunächst explorativ am Beispiel von Millennials untersucht. Die Probandinnen und Probanden haben sich die Websites von ihnen unbekannten Reisezielen angesehen. Dabei habe ich ihren Blickverlauf aufgezeichnet und diesen anschließend hinsichtlich ihrer Gedanken und Gefühle kommentieren lassen. Außerdem habe ich Interviews zur grundsätzlichen Nutzung von und Erwartung an Destinationswebsites mit ihnen geführt. Unter anderem habe ich herausgefunden, dass das Destinationserlebnis auf mehreren Ebenen stattfindet. Beim Websitebesuch entstehen zum Beispiel emotionale Erlebnisse wie das Gefühl von Fernweh oder Spaß oder soziale Erlebnisse, etwa, wenn User darüber reflektieren, ob es im Reiseziel zu viele Begegnungen mit anderen Touristen geben könnte (Stichwort Overtourism). In Bezug auf die Wirkung von Bildern und Videos fand ich beispielsweise interessant, dass es offenbar ein schmaler Grad ist, zwar professionelle Bilder zu wählen, gleichzeitig aber auch Authentizität zu vermitteln. Stark bearbeitete Bilder wurden beispielsweise häufig als unrealistisch deklariert. In Summe konnte ich ein klareres Bild gewinnen, was den Websitenutzern hinsichtlich des Destinationserlebnisses durch den Kopf geht. Dabei gibt es viele Parallelen zu Erkenntnissen der Erlebnismarketingforschung im Konsumgüterbereich, aber eben auch destinationsspezifische Besonderheiten. Als nächstes will ich mit quantitativen Methoden untersuchen, ob die gewonnenen Erkenntnisse verallgemeinert werden können.

Wir sind sehr gespannt, mehr von dir zu hören. Mithilfe deiner Forschung werden wir noch inspirativere Websites gestalten und dem Nutzer viel Lust aufs Reisen und Vorfreude auf sein Reiseziel bieten können. Wann können wir erste Studienergebnisse nachlesen?

Ich plane die Ergebnisse der einzelnen Teilstudien in wissenschaftlichen Fachzeitschriften zu veröffentlichen. Die Ergebnisse der qualitativen Studie sind bereits aufgeschrieben und bei einem Journal eingereicht. Wenn es gut läuft, erscheint der Artikel im Laufe dieses Jahres. Insgesamt werde ich wohl noch knapp zwei Jahre weiterforschen. Die weiteren Artikel folgen dann also sukzessive.

Liebe Anne, herzlichen Dank für das Gespräch und viel Erfolg weiterhin bei deiner Doktorarbeit!

Lorena Meyer

Leiterin Konzeption und Innovation am Standort Grassau

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Lorena Meyer

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